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„Das Stuttgart Experiment – Anleitung zur städtischen Transformation“, Diplomarbeit

27 Dezember 2013

Verfasser: Ines Wulfert
Prüfer: Prof. Antje Stokman, Prof. Arno Lederer, Leslie Koch/ IÖB
Sprache: Deutsch

Die Diplomarbeit umfasst drei Teile:

 

Teil 1

Der Schwerpunkt des ersten Teils liegt auf der theoretischen Auseinandersetzung mit globalen und lokalen Herausforderungen, mit dem Ziel, Konzepte für eine „grünere“ Stadt zu entwickeln, die ihre Bewohner zu einem bewusster gestalteten, gesunden Leben inspiriert. Es sollen demnach Ideen entwickelt werden, wo und wie Stuttgart (oder einzelne Bereiche) in diesem Sinne (um)gestaltet werden könnten. 
Dabei spielen eine Vielzahl von Faktoren eine bedeutende Rolle, von denen im Folgenden nur einige genannt werden können: 

– Wo gibt es Orte, wo Naturerfahrungsräume entstehen könnten? Handelt es sich dabei um Privatgärten, die nicht genutzt werden, städtische Brachflächen oder öffentliche Grün- und Freiflächen in der Stadt
– Wo gibt es bereits Initiativen und Zusammenschlüsse von Leuten, die dieselben Anliegen und Ideale haben? (Wagenhallen/Stadtacker, Contain’t, Kulturlabor, Projekte an den Hochschulen, Urban Farming auf dem Züblin-Parkhaus, El Palito,…).
– Wie können “Grünprojekte” wie urbane Gärten  von einem „Trend“ in etwas Dauerhaftes überführt und für mehr Menschen zugänglich gemacht werden? Wie kann man die Initiative zum gemeinschaftlichen Kreativ-Sein und Experimentieren, aber auch zum gemeinschaftlichen Genießen des eigenen Lebensumfeldes fördern?
– Was das Projekt Stuttgart 21 und die energischen Proteste offenlegen ist, dass viele Bürger einen großen Willen zur Mitgestaltung ihres eigenen Lebensumfeldes haben und Verantwortung für die Umwelt übernehmen wollen. Dieses Potenzial soll genutzt werden, um gemeinschaftlich eine neue städtische Lebensrealität mit neuen sozialen Werten zu schaffen.
– Diese Fragen im Sinne von „global denken“ sollen im Theorieteil erörtert werden und anschließend in eine räumliche und organisatorische Strategie für die Stadt Stuttgart münden.     

Der Übergang von „globalem Denken“ zum „lokalen Handeln“ soll durch den zweiten Teil der Diplomarbeit veranschaulicht werden. 

Teil 2

Teil 2 stellt den Kulturgarten “El Palito” in Stuttgart als eine Art Prototyp für urbane “Grünprojekte” vor. Das Gartengrundstück an der Neuen Weinsteige wurde vom (privaten) Besitzer als “Experimentierfeld” freigegeben. Ein kleiner Kreis von Interessierten hat im Juni 2013 einen Kulturförderverein gegründet, der sich der Gestaltung und der Organisation des Grundstücks annimmt. 
Der Garten ist ein kleines grünes Juwel innerhalb der Stadt und aufgrund der Hanglage sehr spannend. Bisher wird er primär als Gemeinschaftsgarten genutzt, soll jedoch Schritt für Schritt auch für benachbarte Bewohner und andere Interessierte geöffnet werden. Neben kulturellen Events und sozialen Angeboten, wie Workshops, Ausstellungen, Flohmärkte etc., sind vielfältige andere Nutzungsmöglichkeiten vorstellbar.

Die Dokumentation der sozialen und räumlichen Prozesse im Kulturgarten (und darüber hinaus) gibt einen Eindruck von den vielfältigen Möglichkeiten und positiven Effekten, die sich in selbstorganisierten Projekten mit direktem Naturbezug ergeben können.

Teil 3

Der dritte Teil der Diplomarbeit steht ganz im Zeichen des lokalen und auch praktischen Handelns. 
Im Kulturgarten El Palito wird gemeinschaftlich ein Architekturexperiment durchgeführt: Ein Baumhaus, als eine Art Symbol für die Vision der „grünen Stadt“ und eines gesellschaftlichen Wertewandels (s. Teil 1), soll vor Ort entstehen. Mit Hilfe der Vereinsmitglieder und anderen Interessierten soll der Bauprozess im Rahmen eines Workshops ab März 2014 organisiert werden. 
Ziel ist es, nur wenige planerische Rahmensetzungen vorzugeben, um den Beteiligten individuellen Gestaltungsspielraum zu lassen und die Identifikation mit dem „Symbol“ zu stärken. Vor allem im Hinblick auf potenziell neu entstehende Naturerfahrungsräume, wie z.B. weitere Kulturgärten in der Stadt, könnten die Baumhäuser als Identifikationsmerkmal des lokalen Handelns und globalen Denkens entstehen. 
Daraus ergeben sich vielschichtige Herausforderungen. Die Mindestplanung soll so unternommen werden, dass das Baumhaus „nach System“ relativ leicht und kostengünstig nachgebaut werden kann und trotzdem individuelle Kreativität fördert. Aus diesen praktischen Gründen, aber auch um den experimentellen Charakter und ideellen Wert zu untermauern, der hinter der Bauaufgabe steckt, wird die Verwendung von Recycling-Materialien angestrebt. Das Bauen soll  handwerkliche Fähigkeiten  und Kreativprozesse anregen, die wiederum für andere Projekte nützlich sein könnten (innerhalb des Gartens z.B. für den Bau eines Gewächshauses o.Ä.). Außerdem sollen Vergemeinschaftungsprozesse über das Medium „Architektur“ gefördert werden. 

Bei der Bearbeitung des Diplomprojekts im letzten halben Jahr haben sich reale Experimente herauskristallisiert, wodurch die Diplomarbeit den Titel „Das Stuttgart-Experiment“ erhalten hat und in folgende drei Untertitel gegliedert wurde: 

 

Die kommunikation – Vortragsreihe

Es war klar, dass die Vorbereitung für den Bauprozess über den Winter nicht vor Ort stattfinden kann. Daher kam die Überlegung auf, einen Raum zu finden, der während der kalten Jahreszeit regelmäßig für Treffen genutzt werden kann. Von Anfang an sollte ein Austausch zum Thema Baumhaus stattfinden können, um das Projekt zum gemeinschaftlichen Anliegen zu machen.  Konkrete Planungs- und Organisationsschritte könnten auf diese Weise besprochen und der Kontakt untereinander aufrecht erhalten werden. Aber auch Vorträge zu Themen, die für den Garten und die Gruppe Relevanz haben könnten, wurden auf die Programmliste gesetzt (s. unten).

Das “Kulturlabor” – ein Kulturförderverein, der erst kürzlich gegründet wurde, bot uns an, seine Räumlichkeiten in der Azenbergstrasse zu nutzen. Wir wollten dadurch auch die Möglichkeit wahrnehmen, El Palito mit dem Verein zu vernetzen. Im November 2013 fand das erste Treffen dort statt.

Das bauexperiment

Wem steckt der Kindheitstraum vom kleinen “Luftschloss” nicht noch in Kopf und Herz? Und welchen schöneren Ort als der wilde Garten an der Weinsteige kann man sich dafür ausmalen? Als ich die Idee, ein Baumhaus zu bauen, zum ersten mal im El Palito kommunizierte, waren die Anwesenden sehr positiv gestimmt. Es war aber auch klar, dass es in vielerlei Hinsicht ein Experiment für alle Beteiligten werden würde. Es galt, das richtige Maß von planerischen Vorgaben und Offenheit im Prozess zu finden. Die konventionelle architektonische Herangehensweise, in der möglichst wenig dem Zufall überlassen bleiben soll, wurde sozusagen umgekehrt: Möglichst viele Spielräume sowie kollektive Kreativität und Handfertigkeit sollten das Projekt zum Gemeinschaftsprojekt werden lassen, mit dem sich alle identifizieren können.  Die nötigen Planungs- und Organisationsschritte sollten möglichst transparent kommuniziert werden und zum Mitmachen motivieren. 

Übergeordnetes konzept

(s. Teil 1 der Diplomarbeit)
El Palito ist ein ganz besonderer Ort – eine Oase der Ruhe inmitten der iconhektischen und lauten Stadt. Befindet man sich in dem Garten, scheint es als würde man für eine bestimmte Zeit in eine andere Welt eintauchen, in der man von Natur und Grün umgeben ist. An einigen Stellen kann man zwischen den Ästen der Baumkronen in den Kessel blicken und sieht auf die Dächer der zahllosen Gebäude und Straßen, die das Stadtbild prägen. Man fühlt sich durch die Höhenlage “enthoben”. Dieses Gefühl soll verstärkt werden – eine Art zweite Ebene soll einem neue Perspektiven eröffnen und ermöglichen, sich selbst und seine Umgebung anders wahrzunehmen und zu erleben. Der Kontakt zur Natur soll intensiviert werden. Übergeordnet kann das Nest als eine Art Symbol für einen  gesellschaftlichen Bewusstseins- und Wertewandel betrachtet werden, wo Kontemplation, Besinnung auf das Wesentliche und die “innere Natur” Konterpunkte zu Beschleunigung, Entsolidarisierung  und Entfremdung von der Natur sowie Wohlstandskonsum bilden. Da der Kulturgarten El Palito eine Art “Nische” in der Stadt ist, wo sich Leute treffen, die sich durch ähnliche Wünsche und Ideale verbunden fühlen, ist El Palito der perfekte Ort für ein solches Symbol. Die “Nische soll ein Nest” bekommen…

Bedingungen vor Ort

Das Gartengrundstück dient als wichtige Kaltluftschneise für die Stadt Stuttgart. Kühle Luft von den Fildern kann am unbebauten Hang entlang eines Grabens in die Innenstadt strömen. Ein ca. vier Meter breiter Geländestreifen entlang dieses Grabens ist als Biotop ausgeschrieben. Viele besondere Pflanzenarten können hier ungestört wachsen und müssen unbedingt geschützt werden. Der Verein El Palito bemüht sich sehr, die natürlichen Prozesse vor Ort nicht zu stören. Wichtig war es also zunächst, einen geeigneten Ort für das Baumhaus zu finden: Die Umgebung soll nicht negativ beeinträchtigt und  Bäume nicht beschädigt werden. Hauptsächlich kommen junge Eschen und kleinere Obstbäume im Garten vor, die nicht für eine bauliche Konstruktion in Frage kommen. Nur wenige Bäume kommen überhaupt in Frage, die stabil genug sind, um dem oftmals starken Wind standhalten und ein Baumhaus tragen zu können. Selbstverständlich sollten sie auch der außergewöhnlichen Lage des Grundstücks gerecht werden und die Aussicht auf die Stadt erlauben. 

Zum Original Artikel • Universität Stuttgart